Vor vielen, vielen Monden lebt ein Indianerjunge, der Singender Vogel hieß. Er war anders als die übrigen Kinder seines Stammes. Er war stiller, viel kleiner und auch viel schwächer als die
anderen Jungen. Bei ihren wilden Spielen konnte er nicht mithalten und die anderen Jungen lachten ihn aus und hänselten ihn. So kam es, dass er meist allein war.
Singender Vogel verstand nicht, warum die anderen ihn auslachten, denn er mochte sie und hätte gerne mit ihnen gespielt. Sein Großvater war der einzige, der ihn verstand. "Du bist ein gesegneter
Junge, Singender Vogel, mach Dir nichts aus dem Spott. Der große Geist hat etwas ganz Besonderes mit Dir vor. Du mußt nur zu ihm gehen und mit ihm sprechen und ihm von Deinen Sorgen erzählen." So
ging Singender Vogel jeden Tag auf einen Hügel und sprach zu dem großen Geist.
Oft saß er lange und lauschte auf eine Antwort, aber alles blieb still, nur der Wind rauschte in den Zweigen der Bäume. Dennoch kam Singender Vogel jeden Tag aufs Neue an die gleiche Stelle; von
dort konnte er auf sein Dorf hinunterblicken. Er begann sich zu fragen, was dort fehlte, was sein Volk brauchen könnte, denn er liebte die Menschen. Er bemerkte viele Dinge. Ihm fiel auf, dass
die Alten und Kranken Hilfe brauchten, und er bemühte sich, ihnen das Leben zu erleichtern, so gut er konnte. Er freute sich über jedes Lächeln, dass ihm jemand schenkte.
Eines Tages wurde Singender Vogel krank und kein Medizinmann konnte ihm mehr helfen. Da trug sein Großvater ihn auf den Hügel, den er so liebte, denn er wußte, dass der Große Geist den Jungen
bald zu sich holen würde. Früh am Morgen, als der Großvater sich verabschiedet hatte, kam der Große Geist und fragte Singenden Vogel, ob er noch einen Wunsch habe. "Ich möchte ein Tier sein", bat
der Junge, "es soll ein schönes Tier sein, das mein Volk lieben und respektieren wird. Es soll einen feurigen Geist haben und doch sanftmütig und edel sein. Und es muss groß und stark sein, damit
es die Menschen tragen und ihnen helfen kann, schwere Lasten zu bewegen. Gib, dass es leichtfüßig sein wird wie eine Gazelle und schnell wie der Wind. Lass es ein mutiges Herz haben, damit es den
Menschen bei der Jagd helfen kann". Als der Große Geist das hörte, lächelte er und sprach: "Von nun an wirst Du dieses Tier sein, Singender Vogel. Du wirst über die Erde wandern und den Menschen
helfen und ihnen Freude bereiten. Ich werde Dich in zwei dieser Tiere verwandeln und Dir den Namen PFERD geben. Dein Großvater wird kommen und nach Dir suchen; er ist ein weiser Mann und wird
verstehen, was geschehen ist". Als der alte Mann die beiden Pferde auf dem Hügel fand, kniete er nieder und dankte dem Großen Geist, denn er wußte, dass das Leben auf der Erde durch die Liebe
eines Jungen von nun an schöner und reicher sein würde.
Wenn der Wind weht und der Regen rauscht, kannst Du manchnmal die donnernden Hufe der Pferde am Himmel hören. Dann erinnere Dich an Singenden Vogel, der die Menschen so liebte, dass selbst der
Große Geist Gefallen daran fand.
Legende der Cheyenne - Indianer